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Worauf vertrauen?


Treue und Vertrauen haben nicht nur den gleichen Wortstamm, sie hängen auch eng miteinander zusammen. Man vertraut darauf, dass der Partner treu ist. Untreue gilt als Vertrauensbruch. Die Grenze zur Untreue wird dabei recht unterschiedlich definiert. Sie ist von individuellen Wertvollstellungen geprägt, wobei unter Treue nahezu immer sexuelle Exklusivität verstanden wird. Neben dem Sex mit einem anderen Menschen überschreiten meist auch alle Formen von intimer körperlicher Nähe, wie bspw. ein Kuss, die Grenze zur Untreue. Daneben gibt es noch die gedankliche Untreue (der Sex im Kopf) und die verbale Untreue (z.B. ein Flirt oder erotische Nachrichten).

In den seltensten Fällen wird offen  darüber gesprochen, wo der Einzelne seine Grenze zur Untreue definiert. Das Thema scheint zu bedrohlich, um es einem Disput über ggf. verschiedene Auffassungen auszusetzen. Lieber wird darauf vertraut, dass es einen stillschweigenden Konsens gibt, was vielleicht noch so gerade erlaubt und was in jedem Fall zu unterlassen ist. Die unausgesprochene Vereinbarung lautet: Verhalte Dich so, wie Du es von mir erwartest.

In Paarberatungen, in denen es um das Thema Treue geht, frage ich gerne, worauf genau man vertrauen möchte. Nach einigem Schweigen fällt dann oft der Begriff „Verlässlichkeit“ oder es wird auf „gesellschaftliche Spielregeln“ verwiesen, die einem der „gesunde Menschenverstand“ sagt. Die meisten vertrauen also darauf, dass das Verhalten des Partners nicht den gängigen Beziehungs-Normen widerspricht. Beim Bemühen, es konkreter zu machen, ergeben die Gespräche dann häufig das Bedürfnis, nicht verletzt und/oder nicht angelogen zu werden.

Es geht also einerseits um Rücksichtnahme, andererseits um Ehrlichkeit. Diese beiden Ziele widersprechen sich jedoch nicht gerade selten. Ehrlich zu sein und zugleich den anderen nicht verletzen wollen, kann zu einer Gratwanderung werden. Dies gilt insbesondere für die gedankliche Untreue. Wie normal oder unnormal ist es, im Laufe einer langjährigen Beziehung einen anderen Menschen zu begehren? Zwingt mich die Ehrlichkeit, so etwas meinem Partner zu sagen? Spielt es dabei eine Rolle, wie groß das Bedürfnis ist, es in die Tat umzusetzen? Oder ob es eine tatsächliche Bedrohung der Partnerschaft werden kann?

Meistens laufen solche Gespräche darauf hinaus, ob man eher darauf vertrauen möchte, dass der Partner auch dann offen und ehrlich ist, wenn es unangenehm werden könnte, oder darauf, nicht verletzt oder gekränkt zu werden. Am Ende steht oft die Erkenntnis, dass geschlechtliche Treue nicht der wesentlichste Aspekt von Vertrauen sein muss. Und dass es Treue und Ehrlichkeit nicht nur gegenüber dem Partner, sondern auch gegenüber sich selbst gibt.

Sich selbst treu zu bleiben, heißt eben auch, einen Umgang mit den eigenen Wünschen, Bedürfnissen und Sehnsüchten zu finden. Es bedarf einer Entscheidung, wie beide Partner das in ihrer Beziehung integrieren wollen. Möchte man sich gegenseitig eher schonen, indem man verschweigt, wenn man außer dem Partner noch andere Menschen begehrt? Oder will man darüber sprechen, in aller Offenheit und mit manchmal schmerzhafter Ehrlichkeit, um dann einen gemeinsamen Weg zu finden? Will man lieber darauf vertrauen, auf keinen Fall verletzt zu werden oder darauf, auch bedrohliche Situationen miteinander zu meistern? Letzteres auch im Vertrauen darauf, dass dies das Fundament der Partnerschaft festigt.

Manchmal denkt man, es sei stark festzuhalten. Doch wahre Stärke zeigt man oft erst im Loslassen!