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Zwischen Chancen und Grenzen


Sowohl für die eigene wie auch die gemeinsame Entwicklung kann es ein Gewinn sein, sich seiner Eifersucht und seinen Ängsten zu stellen. Das Gleiche gilt für die Herausforderung, die Glücksgefühle des Partners als Bereicherung und nicht als Bedrohung zu empfinden. Dieses „Spiel mit dem Feuer“ kann gerade aufgrund des offenen Umgangs mit Fantasien, Ängsten und Verletzlichkeiten eine sehr intime Nähe schaffen. Der Paar- und Sexualtherapeut Ulrich Clement zu den Chancen und Grenzen: „Die Erotisierung der Eifersucht erfordert ein hohes Maß an Selbstwahrnehmung und eine sehr feine Abstimmung mit dem Partner. Das gelingt nur, wenn die emotionale Loyalität auf stabiler Grundlage steht.“

Jeder muss für sich abwägen, ob er sich den Herausforderungen stellen möchte, die beiderseitige Freiheiten mit sich bringen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, sich selbst und dem Partner vorwurfsfrei zuzugestehen, dass bestimmte Bedürfnisse in der Beziehung unbefriedigt bleiben. Unabhängig davon, welches Modell das Paar präferiert, steht es vor ähnlichen Herausforderungen: Ist die Verbundenheit stark genug, um eine Nebenbeziehung nicht als schwelende Gefahr für die Paarbeziehung zu erleben? Hält das Vertrauen in den Bestand der Beziehung und die Gefühle füreinander auch Eifersucht und mögliche Selbstzweifel aus?

Polyamor zu leben und zu lieben ist besonders anfällig für Eifersuchtsgefühle, da die Außenbeziehung nicht nur zur erotischen, sondern auch zur emotionalen Verbundenheit in  Konkurrenz tritt. Daher ist es wichtig, ein Verständnis dafür zu entwickeln, wo die Grenzen gegenseitigen Vertrauens sind. Es ist erforderlich, die eigenen Bedürfnisse zu äußern, rote Linien festzulegen und „Spielregeln“ zu definieren. Neben Einfühlungsvermögen und Respekt hinsichtlich der Verletzlichkeit des Partners erfordert dies vor allem einen hohen Kommunikations- und Abstimmungsaufwand.

Kommunikation

In jeder Beziehung kann Liebe und Offenheit zu einer schwierigen Kombination werden. Damit Offenheit nicht vor allem zu Verletzungen führt, muss es gelingen, wirklich miteinander, nicht gegeneinander zu reden. Dafür ist es wichtig, seine Gefühle erkennen und benennen können. Darüber hinaus erfordert es die Bereitschaft zu einem weitgehend tabulosen Austausch, bei dem Bedürfnisse eine genauso große Rolle spielen wie Verlustängste.

Es gehört Mut dazu, sich auf Ebenen kennenzulernen, die in der partnerschaftlichen Kommunikation oft vermieden werden - sei es aus Scham oder wegen der Befürchtung, den anderen zu verletzen. U.a. ist zu klären, ob sexuelle Begegnungen außerhalb der Kernbeziehung zur Intimsphäre gehören, oder ob auch hierüber ein Austausch erfolgen soll. Über das in einer Außenbeziehung Erlebte zu reden, kann zu einer Gratwanderung werden zwischen erotischem Reiz und dem Nähren von Eifersuchtsgefühlen.

Manche Paare vereinbaren, dass alles, was mit Dritten geteilt wird, zur persönlichen Intimsphäre gehört. Dies bedeutet dann, bestimmte Lebensbereiche des Partners nicht genau zu kennen. Sich gegenseitig zuzugestehen, darüber nur das mitzuteilen, was man teilen möchte, und mögliche Fragen unbeantwortet lassen zu dürfen. Vielleicht lassen sich manche Fragen nur schwer unterdrücken, z.B. ob es dem Partner mit einem anderen in bestimmten Dingen besser geht als mit mir.  Je nach Persönlichkeit kann es eine große Herausforderung sein, die Intimsphäre des Partners zu respektieren. Alle diesbezüglich getroffenen Vereinbarungen gelten daher immer nur so lange, bis ein Partner sagt, dass für ihn eine Grenze erreicht ist.

Bei aller verbalen Offenheit darf jedoch auch die non-verbale Kommunikation nicht vergessen werden. Von der Umarmung, übers Streicheln bis zum Kuss gibt es viele Möglichkeiten, dem Partner Zuneigung und Verbundenheit zu zeigen, falls man seine Verunsicherung spürt. Wie in jedem anderen Beziehungsmodell gibt es auch hier Höhen und Tiefen in der Partnerschaft. Und in den Tälern ist es besonders wichtig, sich auszutauschen und aufzufangen. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, um miteinander im Kontakt zu bleiben oder wieder in Kontakt zu kommen.

Fazit

Jede der beschriebenen Beziehungsalternativen befördert Eifersucht und bei den meisten auch Verlustängste. Sich damit auseinanderzusetzen, kann weh tun. Darüber zu reden erst recht. Es erfordert Mut, die Verbundenheit auch dadurch zu festigen, dass man gemeinsam Grenzen austestet und vielleicht verschiebt. Die eigenen, die des Partners und die der Beziehung. Sich der Frage zu stellen, wie viel Mitfreude mit schönen Gefühlen und Erlebnissen meines Partners mir möglich ist, wenn ich nicht Teil davon bin, ist eine große Herausforderung und zugleich eine persönliche Entwicklungschance. Anand Buchwald, Autor eines Buches über Polyamorie, formuliert ein anspruchsvolles Liebesideal: "Wahre Liebe schaut nicht auf sich selbst, sondern auf den Partner. Und darum ist sie glücklich, wenn der Partner glücklich ist.“

Wie in anderen Bereichen des Lebens gibt es auch hier nicht den einen richtigen Weg für alle. Und letztlich kann die Unberechenbarkeit von Gefühlen allen Plänen und guten Vorsätzen einen Strich durch die Rechnung machen. Andere Beziehungen zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse zu haben, kann mich selbst, den Partner und die Partnerschaft entlasten. Es kann aber auch eine so schwere Belastung für die Beziehung sein, dass sie daran zu zerbrechen droht.

 

 

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