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Orientierungshilfe bei der Lösungssuche


Dass viele Paare eine der beschriebenen sexuellen Krisen im Laufe einer mehrjährigen Beziehung erleben, ist recht wahrscheinlich. Frustration und Unzufriedenheit erwachsen gerade im Rückblick auf das anfangs sehnsuchtsvolle Begehren und die hingebungsvolle Leidenschaft. In der Verliebtheit der ersten Monate schien es so leicht, erotischen Fantasien mit Offenheit zu begegnen und manches auszuprobieren, was vielleicht noch nicht zum eigenen intimen Repertoire gehörte. Dieses „Window of change“, das Zeitfenster mit den größten Entwicklungschancen, schließt sich für die meisten Paare leider viel zu schnell. Aus Neugier wird Gewohnheit und erst nach Jahren meldet sich wieder die Sehnsucht danach, neue Erfahrungen zu machen und Entwicklungen zu wagen. Auf erotischem Gebiet ist es stets das Fremde, das verschüttete Fantasien wieder wachrüttelt.

Dabei ist es ein Mythos, dass dies vor allem für Männer gilt. Wie im Faktencheck bereits festgestellt, sinkt auch bei Frauen die Lust in einer Paarbeziehung. Bei Fantasien von Sex mit einem anziehenden Unbekannten wird die Vagina stärker durchblutet als bei entsprechenden Gedanken an den Partner. Auch bei unseren evolutionär nächsten Verwandtesten (Schimpansen und Bonobos) sind unbekannte Männchen weit attraktiver für Weibchen als die hinlänglich bekannten. Die Primatologin Meredith Small stellt dazu fest: "Das einzige Interesse, das man durchgängig bei Primaten findet, ist das an Neuem und an Abwechslung. Häufiger als jede andere weibliche Präferenz, die das menschliche Auge wahrnehmen kann, wurde eine Vorliebe für das Unbekannte dokumentiert."

Dass Frauen dies deutlich weniger gern zugeben als Männer, ergibt sich wohl aus dem Phänomen der „sozialen Erwünschtheit“. D.h. bei entsprechenden Studien werden die Antworten der Befragten häufig durch gesellschaftliche Normen beeinflusst. Befragt nach der Anzahl der Geschlechtspartner gaben Frauen wesentlich weniger als Männer an - im Durchschnitt etwa 2,5 Partner. Als man den weiblichen Befragten jedoch Anonymität versprach, stieg die Zahl auf ca. 3,5 Partner. Und als man sie angeblich an einen Lügendetektor anschloss, waren es schon ca. 4,5. Bei den Männern hingegen gab es kaum Abweichungen - was angesichts des erwünschten Selbstbilds eines potenten und begehrten Mannes nicht weiter verwunderlich ist. Vergleichbare Ergebnisse gab es auch, wenn man Frauen nach Pornokonsum oder Selbstbefriedigung befragte. Je anonymer die Studiensituation, desto mehr gaben die Frauen zu.

Diese Gedanken sollen als Ein- und Überleitung dienen zu Fragen, die sich unvermeidlich stellen, wenn Lösungswege aus den beschriebenen sexuellen Krisen gesucht werden. Die Fragen, die ich in diesem Kapitel anspreche, sollen eine Orientierungshilfe bei der Suche geben. Wie schon in den einleitenden Worten oben geht es zunächst um grundsätzliche Betrachtungen über die menschliche Natur und daraus ggf. resultierende Spannungsfelder eines monogamen Beziehungsmodells. Die inzwischen zum Standard gewordene serielle Monogamie führt zu der Frage, ob die Zufriedenheit in einer Paarbeziehung eher durch den Austausch eines Partners oder des Modell gesteigert werden kann. Dabei hilft vielleicht, sich darüber klar zu werden, worauf genau man vertrauen möchte. Unabhängig davon, zu welchen Antworten man dabei kommt: Die Lösungssuche bei einer Krise ist immer auch eine Auseinandersetzung mit persönlichen Entwicklungschancen und Grenzen.

Manchmal denkt man, es sei stark festzuhalten. Doch wahre Stärke zeigt man oft erst im Loslassen!